Qualitative Literatur- und Medien-Interaktionsforschung

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Theorie

"Literatur und Hermeneutik" meint "nicht nur Dialog mit dem Werk, sondern auch Gespräch mit denen, die es gleichermaßen zu verstehen trachten", sagt Harro Müller-Michaelis in seinem Beitrag Wozu noch Germanistik? (in Walter Erhart [Hg.] 2003) und nimmt damit Bezug auf Friedrich Schillers Gedanken über die "Sprache" als "einziges sinnliche und – als aus der innersten Menschheit stammend –  … menschliche Mittel" von "Bildung" und "ästhetischer Erziehung", welche wesentlich darauf beruhen, "dass wir uns nicht unmittelbar durch und an uns selbst, sondern nur in einem Entgegengesetzten eines anderen erkennen können".

Dieses mutmaßlich konservative Verständnisses von "Hermeneutik" und germanistischer Literaturwissenschaft – sowie ihrer Didaktik vis-à-vis "eines anderen" – müsste nur eben methodologisch beherzigt und auf dem heutigen Stand der (Handlungs-) Wissenschaften umgesetzt werden, um der stets aufs Neue geführten Debatte über Sinn, Zweck und Zukunft der Geisteswissenschaften nachhaltig überzeugende Lösungswege anbieten zu können.

Nimmt man nämlich "Literatur und Hermeneutik", die sich als "Dialog mit dem Werk", als "Gespräch" mit dem/n "anderen" und als "Verstehen" des "Entgegengesetzten" begreifen und die dabei "Erziehung" und "Bildung" von Individuum und Gemeinschaft beabsichtigen, voll und ganz beim Wort, impliziert dies

... eine konsequent handlungstheoretische Grundlegung der Forschung über "Literatur und Hermeneutik", die als "dialogische", mentale Interaktion von Menschen mit fiktionalen Texten und Mediennarrativen verstanden werden und die in ihren Zusammenhängen des individuellen "Verstehens" und der persönlichen "Bildung" untersucht werden.

... mithin ein zweifaches Gegenstandsverständnis von Forschung über "Literatur", Kultur und Medien, die zum einen in ihren textuellen Manifestationen und zum anderen als interaktionale Phänomene des mentalen Handelns im ästhetischen "Dialog" zu bearbeiten sind.

... eine interdisziplinäre Erweiterung des theoretischen Rahmens, des Fragehorizonts und der Methodologie der Literatur- und Geisteswissenschaften um die qualitativ-empirischen und psychologischen Hermeneutiken der jüngeren Sozial- und Interaktionswissenschaften, ohne die eine Erforschung der „dialogischen“ Interaktion „mit dem Werk“ wie auch des text-basierten „Gesprächs“ mit den „anderen“, die das Werk „gleichermaßen zu verstehen trachten“, nicht überzeugend operationalisiert und methoden-gesichert beschritten werden kann.           

... das Aufsuchen eines gemeinsamen Theorie-Nenners von "Hermeneutik", auf dem die philologischen Fächer mit den handlungs- und humanwissenschaftlichen Disziplinen zusammenfinden können. Hierfür scheint sich derzeit insbesondere ein übergreifender theoretischer Rahmen der interdisziplinären Narratologie anzubieten.

... eine besondere Berücksichtigung von (human-)wissenschaftlichen Ressourcen der Psychologie, die für das Verständnis des mentalen "Dialogs" mit dem "Werk" wie auch des psycho-interaktionalen "Gesprächs" mit den "anderen" unabdingbar sind. Hierbei liegen vor allem die neuere Entwicklungspsychologie, die jüngeren psychodynamischen Ansätze, die objektverhältnis-theoretische Psychoanalyse, die qualitative, erzählanalytische Psychotherapie-Forschung, die sozialpsychologische Gruppenanalyse und die klinische Psychotraumatologie nahe.

... das Betreiben nicht nur von Grundlagenforschung über die Empirie von Lese-, Medien- und Text-Handeln, sondern auch von Anwendungsforschung über die pädagogischen Umsetzungsweisen, kraft derer Lesen und Mediennutzung im schulischen Unterricht sowie in anderen Kontexten von "Bildung" und "Erziehung" zum Tragen kommen. Aufbauend darauf können innovative Verfahren von Unterricht und Kompetenzvermittlung entwickelt und auch als berufsbegleitende Weiterbildung angeboten werden, die den Studierenden zusammen mit den kulturhistorischen Kenntnissen auch fundiertes psychologisches Wissen vermitteln sowie analytische und interaktionale Kompetenzen ausbilden und somit dem vielfach verlautenden Ruf nach 'Schlüsselqualifikationen' und 'Soft Skills' gerecht werden.

... sowohl die handlungs- und humanwissenschaftliche Interdisziplinarität in der kulturwissenschaftlichen Forschung als auch die anwendungswissenschaftliche Entwicklung von entsprechenden Verfahren der Lehre und des Unterrichts leisten einen entscheidenden Beitrag zur institutionellen Exzellenz einer Hochschule. Denn hieraus wird die Relevanz und Leistungsfähigkeit deutlich, welche den Geisteswissenschaften bei der Erarbeitung von Lösungen für gesellschaftliche Problemstellungen der gegenwärtigen Zeit zukommen mag.

 
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